100 Jahre Rathaus - Die NS Zeit 1933 - 1945

 

Die Machtergreifung 1933 und ihre Folgen

Kurz nach Hitlers Machtergreifung wurden die demokratisch gewählten Gemeinderäte entmachtet. Nachdem durch Verordnung des preußischen Staatsministeriums vom 4. Februar 1933 alle Gemeindevertretungen mit Wirkung aufgelöst worden waren, erlangten bei der sich anschließenden Kommunalwahl die Nationalsozialisten 17 von 36 Sitzen im Herforder Stadtrat. Anfang April 1933 wurden die 13 Mandate von SPD und KPD für „unwirksam“ erklärt. Seit dem preußischen Gemeindeverfassungsgesetz vom 15. Dezember 1933 gab es auch in Herford nur noch die leere Hülle eines Gemeinderats mit „beratender Stimme“. Er war auf insgesamt 15 NSDAP-Mitglieder geschrumpft. Der Kreisleiter und der ranghöchste SA-Führer, die die Stellung von ehrenamtlichen Gemeinderäten hatten, sollten den Oberbürgermeister nun beraten. Abstimmungen fanden im Gemeinderat nicht mehr statt.

Das Ergebnis der NSDAP bei der Reichstagswahl am 5. März 1933 lag in Herford-Stadt bei 44,6 Prozent. Am Abend des 7. März 1933 sorgten die Herforder NSDAP und der „Stahlhelm“ dafür, dass am Rathaus, am Post-Gebäude, am Finanzamt und am Kreishaus schwarz-weiß-rote Fahnen (die Farben der alten Reichsflagge) und Hakenkreuzfahnen gehisst wurden. Die Mitglieder des „Stahlhelms“ und der NSDAP (SA, SS, HJ, NSBO) traten auf dem Rathausplatz an und verbrannten „unter großer Anteilnahme der Bevölkerung“ eine KPD- und eine SPD- Fahne.

Der nächste Schritt war die Entmachtung des OB Ernst Althaus (1889 - 1977), Mitglied der DDP (Deutsche Demokratische Partei). Althaus war Anfang der 1930er Jahre ins Visier der Nationalsozialisten geraten und öffentlich durch deren Presseorgan „Westfälischer Beobachter“ angegriffen worden, weil er die Herforder Polizei gegen NSDAP- und SA-Mitglieder eingesetzt hatte. Althaus wich dem Druck der NSDAP, indem er noch im Mai 1933 den Mindener Regierungspräsidenten um Beurlaubung bat. Sein Nachfolger wurde im August 1933 Friedrich (Fritz) Kleim (1889 - 1945). Mit seinem Eintritt in die NSDAP am 1. Mai 1933 arrangierte sich dieser qualifizierte Verwaltungsfachmann mit dem neuen System. Er war Bürgermeister der Stadt Soest und bis 1932 Mitglied der DVP (Deutsche Volkspartei) gewesen. In Herford galt er als „anständiger“ Nationalsozialist, der die Amtsgeschäfte im „Einklang der Gemeindeverwaltung mit der Partei“ führte. Im Verhältnis zwischen Verwaltung und Partei gab es nun einen Vorrang der Partei.

Schnell wurden Stadtverwaltung und Polizei umgestaltet. Gemäß dem Erlass des preußischen Innenministers vom 22. Februar 1933 gab es auch in Herford eine „Hilfspolizei“ aus Mitgliedern des „Stahlhelms“, der SA und SS unter Führung der ordentlichen Polizei. Damit konnten die Schlägertruppen der NSDAP ihre Willkür quasi in staatlichem Auftrag ausüben. Nach dem Reichstagsbrand stockte man die Hilfspolizei in Herford auf 100, im Landkreis Herford auf 120 Männer auf. Gewerkschaftssekretäre waren schon im April 1933 verhaftet und in sogenannte Schutzhaft genommen worden. Auch Arbeiter und Angestellte, die der SPD angehörten, wurden im März und April 1933 meistens wegen Verdachts „staatsfeindlicher Bestrebungen“ in Schutzhaft genommen. Gegen die KPD ging das NS-Regime besonders hart vor: Polizei und Hilfspolizei verhafteten in Herford im März und April 1933 mindestens 36 Funktionäre und Amtsträger. Am 15. August 1933 hob die Polizei die Hilfspolizei auf, da inzwischen die Geheime Staatspolizei (GESTAPO) entstanden war.

Aufgrund des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 kam es zu einer „Säuberung“ in den Gemeindeverwaltungen und bei der Polizei. Besonders ins Visier gerieten Mitglieder von SPD und KPD sowie Juden. In der Stadt Herford wurden 1933 sechs Beamte, drei Angestellte und 17 städtische Arbeiter entlassen. Fünf Polizisten, davon zwei Kriminalbeamte, wurden in den Ruhestand versetzt. Weitere Polizeibeamte, die SPD-Mitglieder gewesen und der NSDAP und der SA „sehr brutal entgegengetreten“ waren, wurden nicht entlassen, aber versetzt. Die freigemachten Stellen wurden „mit arbeitslosen, langjährigen Anhängern der nationalsozialistischen Bewegung“ besetzt. Nur waren die NSDAP-Mitglieder nicht immer qualifiziert für den in Aussicht gestellten Posten.

Das Rathaus wurde zum Schauplatz der Selbstdarstellung des neuen Regimes. So hielten Anfang April 1933 SA-Männer am Sarg des im Rathaus aufgebahrten SA-Standartenführers Hermann Pantföder Totenwache. Der Führer der SA-Standarte 174, Mitte März 1933 in die Stadtverordnetenversammlung gewählt, starb am 31. März 1933 spät in der Nacht auf der Rückfahrt von Bielefeld nach Herford bei einem Autounfall. Er wurde zum regionalen Helden der NS-Bewegung stilisiert. An der Trauerfeier nahmen neben Pantföders Witwe und Verwandten auch die örtlichen Honoratioren und die Vertreter der NSDAP sowie die oberste SA-Führung Westfalens und SA-Stabschef Viktor Lutze teil. Superintendent Niemann hielt die Trauerrede.

Auch viele andere Vereine und Verbände wurden gleichgeschaltet oder in das NS-Regime einbezogen. Der NS-Bürgermeister Fritz Kleim wurde „Kreisführer“ des Herforder Roten Kreuzes. Die meisten Organisationen übernahmen das Hakenkreuz als Symbol an Uniformen und auf Publikationen. Veranstaltungen bekamen immer mehr militärischen Charakter.

Das Rathaus im „Führerstaat“

Auch die Aufnahme und Vereidigungen für das Jungvolk und die Hitlerjugend wurden nun – meist rund um „Führers Geburtstag“ am 20. April - auf dem Rathausplatz zelebriert. Die Jungen wurden „Pimpfe“ in der DJ (Deutsches Jungvolk als Vorstufe zur HJ) und „Hitlerjungen“. Mädchen kamen zu den „Jungmädeln“ und in den BDM (Bund Deutscher Mädel). Jeder neu aufgenommene Pimpf musste eine Verpflichtungsformel nachsprechen: „Ich verspreche, in der Hitler-Jugend allzeit meine Pflicht zu tun in Liebe und Treue zum Führer und unserer Fahne.“ Die Vereidigung auf Hitler fand in einer öffentlichen Veranstaltung auf dem Rathausplatz statt. Das Programm bestand am 20. April 1939 aus: Fahneneinmarsch, Spruch eines Hitlerjungen, Ansprachen der DJ- und HJ-Führer sowie der JM- und BDM-Führerinnen, Treuegelöbnis der neuen Mitglieder auf Hitler, Fahnenlied „Vorwärts, vorwärts . . .“, Abschlussrede von Kreis- und Ortsgruppenleiter und Ausmarsch der Fahnen.

Ebenso wurden am 20. April oder zeitnah die neuen politischen Leiter, Amtswalter und Warte der Parteigliederungen vereidigt. Dadurch sollten sie an Hitler persönlich gebunden fühlen. Hitlers 50. Geburtstag, 1939, wurde einmalig zu einem offiziellen Nationalfeiertag erklärt. In der Herforder Innenstadt wehten zahlreiche Fahnen. OB Kleim hielt eine den „Führer“ Hitler verherrlichende Ansprache auf dem Rathausplatz. Anschließend läuteten die Glocken. Danach gab es am Spätvormittag eine große Parade der in Herford stationierten Wehrmachtseinheiten.

Auch der 1934 in „Heldengedenktag“ umbenannte „Volkstrauertag“ wurde jeweils am 5. Sonntag vor Ostern als offizieller Staatsfeiertag rund um das Rathaus begangen. Nach der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht bestimmte Hitler die Wehrmacht zum Ausrichter der Feiern. In Herford waren der Rathausplatz, das Kriegerdenkmal vor der Münsterkirche und der Alte Markt die Schauplätze. Es gab eine Ehrenkompanie am Kriegerdenkmal, einen Feldgottesdienst auf dem Rathausplatz, die Rede eines höheren Militärs, eine Kranzniederlegung vor dem Kriegerdenkmal und den Vorbeimarsch der militärischen Verbände und Vereinigungen auf dem Alten Markt.

Den Erstbezug der Kasernen beging die Wehrmacht mit großen Veranstaltungen unter Beteiligung der Bürger. Am 16. Oktober 1935 begrüßten Landrat Hartmann und Herfords Honoratioren die neue Garnison auf dem Rathausplatz. Bei der ersten Rekrutenvereidigung am 7. November 1935 hielt Hermann Kunst, der auch als Standortpfarrer fungierende Pfarrer der Mariengemeinde Stift Berg, eine Ansprache an die Soldaten. Darin drückte die zunächst weit verbreitete Unterstützung der NS-Regierung durch die evangelische Kirche, basierend auf der Tradition des preußisch-deutschen Nationalismus und der Lutherschen Theologie des Gehorsams gegenüber der Obrigkeit, ausdrückte: „Ihr seid bis an Euer Lebensende keine Privatpersonen, sondern eine dem Führer des Volkes verschworene Kampfgemeinschaft. Keine Überlegung, kein Reiferwerden entbindet Euch von dem Eid. Das sage ich Euch nicht als irgendeine Meinung, das sage ich Euch als ein berufener Diener am Wort.“

Weitere Großereignisse auf dem Rathausplatz waren am 9. April 1938 eine Kundgebung am Vorabend der Wahlen des „Großdeutschen Reiches“, am 28./29. Mai das 1938 Kreistreffen der NSDAP, am 28. September 1938 die „Treuekundgebung zum Befreiungskampf der Sudetendeutschen“ und am 16. Juni 1939 der Empfang für die „Alte Garde der NSDAP“.

Schon 1933 gab es die ersten Sammlungen zum „Winterhilfswerk“, organsiert durch die städtische Wohlfahrtsverwaltung. Die Veraltung wird neu nach dem „Führerprinzip“ aufgestellt. Nach der neuen Ortssatzung gab es ab 3. Mai 1934 nur noch drei hauptamtliche Verwaltungsleiter, den Oberbürgermeister, den Bürgermeister und Stadtkämmerer (1935 kam noch der Stadtbaurat dazu), dazu drei Beigeordnete und die 15 NSDAP bestimmten Gemeinderäte.

Die seit dem 1. April 1935 im ganzen Deutschen Reich bestehenden Gesundheitsämter hatten die Aufgabe, die Bewertung und Auswahl nach Wert oder Unwert für die „Volksgemeinschaft“ durchzuführen. Gesetzliche Grundlage war das Anfang Juli 1934 verabschiedete „Gesetz über die Vereinheitlichung des Gesundheitswesens“. In Herford wurde neben dem bestehenden Gesundheitsamt für die Stadt, das einen staatlichen Amtsarzt erhielt, ein staatliches Gesundheitsamt für den Landkreis Herford neu eingerichtet. Verantwortliche Amtsärzte waren Dr. Hermann Angenete und Dr. Heinrich Siebert.

Die Verwaltung wird modernisiert: Zum 1. Oktober 1936 gab es eine neue Geschäftsordnung der Stadtverwaltung, ab 1. Januar 1937 erfolgte die Umstellung der städtischen Organisation auf ein Dezimalstellensystem, auch die Aktenhaltung wird danach geändert. umgestellt. Am Oktober 1937 ist eine neue Adressiermaschine (Adrema) arbeitsfähig. Durch eine Bevölkerungskartei von 31.850 Platten gibt es eine erhebliche Beschleunigung der Verwaltungs- und Versendearbeiten. Der Raum neben dem Sitzungssaal des Rathauses wird Vortragsraum mit „eingebauter Heizung, Tischen und Stühlen und neueingebaut Schränken hergerichtet und dient in der Hauptsache für Schulungen der Polizeibeamten.“ Das Einwohnermeldeamt erhält ein neu organisiertes „Kartotheksystem im Din-Format“. Wegen „Luftzugerscheinungen“ wird in die Windfangtür vor der Kämmereikasse wurde eine Drehtür eingebaut. 1938 wird der Rathausboden über dem Mittelbau zur Hälfte durch Leichtbauplatten in Einzelräume aufgeteilt. Die Räume der Kämmereikasse werden mit einer neuen elektrischen Beleuchtungsanlage versehen. 1938 werden im Zuge der Erfassung und Verwertung von Altmaterial allein aus dem Rathaus 20.231 kg Altpapier mit einem Ertrag vom 644,18 Reichsmark abgeführt.

Ausgrenzung und Verfolgung von Minderheiten

Im Herforder Rathaus arbeiteten die gleichgeschaltete Verwaltung und vor allem die Polizei auch der gewollten Ausgrenzung und Verfolgung von Minderheiten zu. Mit den ersten Verhaftungswellen durch die Hilfspolizei und GESTAPO Anfang 1933 wurde der Zellentrakt im Herforder Rathaus zum Schreckensort. Die hier zunächst meist kurzzeitig Verhafteten und Vernommenen musst mit Weitertransporten in Gefängnisse, KZs und Arbeitserziehungslager rechnen. Die Verhaftungen betrafen vor allem politisch Verdächtige, wie etwa Angehörige der SPD, KPD und Gewerkschafter, aber schon früh auch soziale und religiöse Minderheiten.

Ein bedeutender „Schutzhäftling“ war der Herforder Reichstagsabgeordnete Julius Finke (SPD): Aufgrund einer Denunziation leitete die Polizei ein Strafverfahren wegen Verstoßes gegen das Reichspressegesetz ein. SA-Standartenführer Pantföder erklärte Oberbürgermeister Althaus, dass die SA als Hilfspolizei Finke verhaften werde, wenn die reguläre Polizei dazu nicht in der Lage wäre. Da Althaus, der durch Pantföder ziemlich unter Druck gesetzt war, befürchtete, dass Parteifreunde und Gesinnungsgenossen Finkes dessen Verhaftung durch SA-Uniformierte nicht einfach hinnehmen würden, sondern dass es zu Ausschreitungen kommen werde, ließ er Finke am Sonntagmittag des 19. März 1933 von einem Kriminalbeamten verhaften. Finke wurde am 23.5.1933 - wohl nach Fürsprache aus der NSDAP-überraschenderweise aus der Haft entlassen, konnte aber in der SPD nie wieder Fuß fassen.

Am 10. Januar 1934 erfolgte die Verhaftung Fritz Meyers, der Leiter der Abteilung Herrenwäsche der Firma Elsbach war. Ihm wurde vorgeworfen, er habe Vorwürfe gegen Juden, die in einer Textilfachzeitschrift erhoben worden waren, Angestellten der Firma Elsbach gegenüber als Lügen bezeichnet. Nur durch persönliche Kontakte kam es auf Anweisung der Gestapozentrale Berlin am 21. März 1934 zur Entlassung. Meyer wird indirekt auch in einem Zeitungsbericht 15. März 1934 erwähnt, der die Haftbedingungen eines verhafteten Obdachlosen im Zellentrakt darstellte “Zu den regelmäßigen Kunden des Herforder Polizeigefängnisses zählt der in ganz Herford unter dem Namen Dohle bekannte Mister Rabe aus der Bombrede. Augenblicklich sitzt er seit 14 Tagen, nachdem er zuvor innerhalb von zwei Wochen nicht weniger als sechsmal eine kurze Gastrolle gab. ... Als ich gestern Gelegenheit nahm, mir das Herforder Zellengefängnis anzusehen, da spazierte Meister Rabe, gerade wie ein Wilder auf dem Hof herum und in respektabler Entfernung hielten sich zwei Juden auf, der eine war der Mädchen-Schänder Lees und der andere ein früherer Angestellter der Firma Elsbach, der in gröblichster Weise Einrichtungen der Arbeitsfront beschimpfte.“

Polizei, Einwohnermelde- und Standesamt setzten die judenfeindlichen Verordnungen um. Nach dem Erlass der Nürnberger Rassegesetze am 15. Septembers 1935 ermittelten diese Behörden die erforderlichen Angaben „zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ und verboten die Eheschließung sowie den außerehelichen Geschlechtsverkehr zwischen Juden und Nichtjuden. Verstöße wurden als „Rassenschande“ bezeichnet und mit Gefängnis und Zuchthaus bedroht. Nach dem Reichsbürgergesetz sollten nur noch der „Reichsbürger“ die vollen politischen Rechte haben. Dieser müsse „deutschen oder artverwandten Blutes“ sein und beweisen, dass er „gewillt und geeignet ist, in Treue, dem deutschen Volk und Reich zu dienen.“ „Jüdischen Mischlingen“ wurde nur das Wahlrecht und eine „vorläufige Reichsbürgerschaft“ zugestanden. Das Gesetz hatte zur Folge, dass kein Jude mehr ein öffentliches Amt innehaben durfte. Auch die jüdischen Beamten, die bislang durch das so genannte Frontkämpferprivileg von der Entlassung verschont geblieben waren, mussten zum 31. Dezember 1935 den Dienst quittieren. Außerdem verloren Juden das politische Wahlrecht.

Nach einer Verordnung vom 17.8.1938, die zum 1.1.1939 in Kraft trat, mussten Juden, die keinen vom Innenministerium anerkannten „jüdischen“ Namen trugen, einen zusätzlichen Zwangsnamen annehmen: „Israel“ für Männer und „Sara“ für Frauen. Die Reisepässe bekamen ab dem 5.10.1938 einen Stempel mit einem roten „J“. Auch die Ausweise erhielten ein „J“.

In der Pogromnacht am 9./10. November 1938 und den folgenden Tagen wurden mindestens 17 Juden aus der Stadt und dem Kreis Herford im Zellentrakt festgehalten. Die Verhafteten transportierte die GESTAPO in ein extra für in der Reichpogromnacht Verhaftete angelegtes Sonderlager im KZ Buchenwald. Die Mehrzahl der aus Herford stammenden Männer entließ man Ende November/Anfang Dezember 1938 unter der Bedingung, ihre Häuser, Geschäfte und Fabriken zu verkaufen und möglichst bald auszuwandern. Bei der Enteignung jüdischen Besitzes wirken zahlreiche Verwaltungseinheiten mit.

Hunderte von Gesetzen, Verordnungen, Erlassen und Verfügungen -zum Teil mit aus heutiger Sicht irrwitzigen Inhalten– machten das Leben für Juden fast unerträglich. Schließlich wurde ihnen am 25. November 1941 die Staatsangehörigkeit aberkannt, wenn sie ihren Wohnsitz im Ausland nahmen. Bei Deportation verloren deshalb Juden mit dem Grenzübertritt ihre Staatsangehörigkeit, zugleich gingen ihr gesamtes Eigentum und Vermögen einschließlich ihrer Ansprüche aus Lebens- und Rentenversicherungen förmlich an den Staat über. All diese Verordnungen setzte die Verwaltung mit um, bis hin zu der Beteiligung an der Erstellung der Transportlisten für die Deportationen aus Herford.

In gleicher Weise förderte die Verwaltung auch die Ausgrenzung und Verfolgung anderer Minderheiten wie z. B. die der Herforder Sinti und Roma und der Zeugen Jehova. Ämter der Stadtverwaltung waren bei der Vorbereitung der Euthanasiemaßnahmen gegen psychisch Kranke erfassend und begleitend tätig. Sozial Schwache wurden durch Maßnahmen der Stadt isoliert, u.a. in den Baracken der „Bombrede“ konzentriert und „rassekundlichen“ Untersuchungen ausgesetzt, „Arbeitsunwillige“ kamen in KZs und Arbeitserziehungslager. Die Verwaltung war willfähriger Gehilfe des Naziregimes.

Der Zweite Weltkrieg

Im Zweiten Weltkrieg war die Stadtverwaltung erneut stark gefordert. Neue kriegsbedingte Verwaltungseinheiten entstanden, insbesondere bei der Versorgung der Bevölkerung und den erforderlichen Luftschutzmaßnahmen waren besondere Anstrengungen erforderlich. Räumlich veränderte sich im Rathaus einiges, der Kriegsbeginn „forderte die Schaffung eines Ernährungs- und Wirtschaftsamtes“. Zur Unterbringung wurde ein Teil der vom Katasteramt im benutzten Räume, die Zimmer 99 bis 104 sowie weitere städtische Diensträume in Anspruch genommen. Ein Teil der Kellerräume in Rathaus wurden zu Luftschutzräumen umgebaut. Ende 1941 verlagerte sich das städtische Gesundheitsamt aus dem Rathaus in das frühere Heimatmuseum Unter den Linden 12. Die Räume im Rathaus wurden dem Jugend-, Wirtschafts- und Versicherungsamt sowie der Finanzverwaltung zur Verfügung gestellt. Am 1. Oktober 1943 wurde im Haus Mindener Str. 29 eine neue Polizeiwache eingerichtet, die Wache im Rathaus hieß seitdem „Polizeiwache Mitte“.

Die Planungen für den Luftschutz in Herford setzten bereits lange vor Kriegsbeginn ein. Mit den ersten Kampfhandlungen in Polen beginnt eine Intensivierung, die schließlich die ganze Stadt luftschutzbereit machte. Überall gab es Luftschutzräume (LS-Räume), die Stadt war mit Luftschutzgräben (LS-Deckungsgräben) geradezu durchzogen. Am 28. September 1939 erließ die Stadt eine „Dienstanweisung für die Bedienung und Beaufsichtigung der öffentlichen Luftschutzräume sowie über die Aufgaben und Pflichten des bestellten Ordners und seines Stellvertreters bei Fliegeralarm“. Die Stadt organisierte die Verteilung der Bürger auf die einzelnen Luftschutzräume und Luftschutzdeckungsgräben, von denen die Stadt durchzogen war.

Im Keller des westlichen Flügels des Rathauses lag die Luftschutzzentrale. Ihr Chef war der Oberbürgermeister. Im November 1942 schreibt die Schutzpolizeidienstabteilung an das Stadtbauamt: „Auf Anordnung des Herrn Oberbürgermeisters soll sofort als Ersatz für die bei Brandbombenabwurf besonders stark gefährdete LS-Turmbeobachtung Rathaus eine neue Turmbeobachtung im Turm der hiesigen Münsterkirche eingerichtet werden. Die Beobachtung soll in dem unteren Teil des Turmhelmes, unmittelbar über der Turmuhr, eingebaut werden.“ So wurde auch die Münsterkirche in den Luftkrieg einbezogen. „Von der Turmbeobachtung aus ist ein besonderer Fernsprechanschluss zur Befehlsstelle der örtl. Luftschutzleitung zu legen. Die Leitung ist von oben her durch den Turm bis unten in die Münsterkirche zu legen - von dort aus kann die Weiterführung als Freileitung bis zur Befehlsstelle erfolgen.“

Das Rathaus war in den Kriegsnächten mit einer Wache besetzt. Darüber wurde ein Wachbuch geführt, das die Namen der Posten, die Ausgabe und Rückgabe der Schlüssel, sowie besondere Ereignisse vermerkt. Jeder Alarm in der Stadt ist darin akribisch notiert. Die Wache, bestehend aus Bediensteten des Rathauses, war in der Regel von 19 Uhr abends bis 7 Uhr in der Früh im Haus, dazu kam bei Alarm ein so genannter Einsatztrupp. In den letzten Kriegsmonaten finden sich fast täglich Alarmmeldungen, die unterstreichen, wie sich die Lage entwickelt hatte. Die Meldung „keine“ (besonderen Ereignisse) war eher die Ausnahme.

In der Weihnachtsnacht am 24. Dezember 1944 findet sich vor den Namen der Wachen (Ratsdiener und Aufseher im Polizeigefängnis) Simon Grüttemeier, (Feuerwehrmann) Ewald Grupe und (Gartenarbeiter) Fred Klausing der launige Vermerk: „Stille Nacht, heilige Nacht, einsam wacht“. Die drei Kollegen mussten von 12:30 Uhr bis 14:10 Uhr und von 18:15 Uhr bis 7:30 Uhr am 25. Dezember Wache schieben. Es gab „nur“ zwei Alarme: um 12:30 Uhr und 18:15 Uhr. An Silvester 1944 hatten August Hartmann, August Horst und Wilhelm Gottlieb Busch Dienst, den Einsatztrupp leitete Grüttemeier Hier gab es Alarme und Entwarnungen im Stundentakt, was sich an den meisten Tagen im Jahre 1945 wiederholte. Am 21. März 1945 vermerkt der Gartenamtsleiter Wilhelm Petznik: „Bordwaffenbeschuß auf Zimmer 43, Gardinenbrand wurde gelöscht.“ Das Rathaus blieb nach den Meldungen im Buch relativ unbeeinträchtigt. Der letzte Dienst war vom 2. auf den 3. April 1945, Ludwig Gockel und Leberecht Nolte hatten Dienst. Nolte vermerkt dienstbeflissen „Artillerie Feindbeschuß.“ Dann war der Krieg zumindest für Herford vorbei.

Die schwersten Bombenangriffe der Alliierten fanden im Oktober und November 1944 und im März 1945 statt. So wurde am 6. November insbesondere das Gebiet Ahmser Straße, Hermannstraße, Rennstraße, Johannisstraße und Wiesestraße betroffen. Beschädigt wurden auch das Friedrichs-Gymnasium, die Münsterkirche, das Städtische Museum, das Mathilden-Hospital und das Kreis- und Stadtkrankenhaus, das seinen Betrieb nach Enger verlegen musste. Am 8. November erfolgte der Abwurf von acht schweren Luftminen. Hierbei entstanden auch Schäden am Rathaus, der Neustädter Kirche, der Post und am Bahnhofsgebäude. Im Rathaus wurden, solange die Verwaltung noch arbeiten konnte, die Schäden registriert sowie Entschädigungen und die Bereitstellung von Baumaterialien organisiert.

Im Rathaus fanden in den 1940er Jahren zahlreiche Ehrungen von „Kriegshelden“ statt. Eine besondere Rolle spielten dabei die sogenannten Ritterkreuzträger. Der erste gebürtige Herforder „Ritterkreuzträger“ Wilhelm Bredemeier wurde am 3. Januar 1943 vormittags um 11 Uhr im Herforder Rathaus persönlich geehrt. Nach weihevollen Reden und der Eintragung ins Goldene Buch der Stadt wurden ihm und seiner Frau einige Geschenke überreicht, u. a. auch eine Zeichnung des Vaterhauses von Bredemeier, die der städtische Angestellte Schwarze nach einer Fotografie gefertigt hatte. Für die Ehrung hatte Oberbürgermeister Fritz Kleim zudem noch 100 Jungen der HJ „für die Spalierbildung auf den Rathaustreppen“ und ein „BDM-Mädel, das der Frau des Ritterkreuzträgers einen Blumenstrauß vor dem Rathaus überreicht“ angefordert. Eingeladen waren außerdem die Spitzen von Rat und Verwaltung, Partei, SS, SA und HJ, der Wehrmachtsstandortälteste, die Familie und der frühere Lehrherr des zu Ehrenden.

Das Ritterkreuz ist eine Klasse des Eisernen Kreuzes, das zu Beginn des Polenfeldzugs am 1. September 1939 von Adolf Hitler neu gestiftet wurde. Das Ritterkreuz war die zweithöchste militärische Auszeichnung des NS-Staates. Dieser setzte die Ritterkreuzträger massiv zu Propagandazwecken ein. Auch Bredemeier reiste nach der Verleihung zum „Redeeinsatz“ in Schulen, Gasthäusern und vor Parteigliederungen durchs Land. In der Endphase des Krieges sollten diese den „Durchhaltewillen“ stärken. Der Aufwand, der um Bredemeier und die weiteren Ritterkreuzträger aus Herford getrieben wurde, reiht sich in diese Bemühungen ein. Am 12. Februar 1943 gab es im Rathaus einen großen Empfang für den Ritterkreuzträger Generalmajor Friedrich Karst, der Chef einiger in den Herforder Kasernen angesiedelten Truppenteile war.

Weiterhin trugen die Behörden von Polizei und Verwaltung im Rathaus zur Verfolgung von Minderheiten bei. Im Zellentrakt wurden u.a. Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter interniert, die sich von ihren Arbeitgebern oder aus Lagern entfernt oder kleine Straftaten begangen hatten. Als Strafen drohten die Einweisung in KZs oder Arbeitserziehungslager. So wurde der sowjetische Zwangsarbeiter Efim Gorgol am 8. Juni 1942 in das Polizeigefängnis eingeliefert. Ihm wurde Herumtreiberei und Betteln vorgeworfen. Bei weiteren Vernehmungen versuchte er unter anderem Namen eine andere Arbeitsstelle zu erlangen. Dieses Vorhaben misslang, denn die Beamten des Arbeitsamtes erkannten den kleinwüchsigen, rothaarigen Mann sofort. Nach Rücksprache mit dem Bauern erfuhren sie, dass er am 7. Juni geflohen war und dass er Würste gestohlen hatte. Der Polizei nochmals vorgeführt, sagt er, dass er dies tat, weil er immer hungrig war. Nun war Efim ein Fall für die Gestapo. Am 27. Juni 1942 wird Efim Gorgol zur Umerziehung in das Arbeitserziehungslager (AEL) Hunswinkel bei Lüdenscheid eingewiesen. Dort arbeitete für „Hoch-Tief“ beim Bau der Versetalsperre. Er wurde am 6. August, kurz vor seiner geplanten Entlassung, erschossen. In einem Brief an den Oberbürgermeister der Stadt Herford steht, dass Efim Gorgol auf der Flucht erschossen worden sei. Die 19-jährigen Klawdja Minajewa, die bei der Möbelfabrik Schwaco in Herford eingesetzt war, wurde vom 7. März bis zum 5. Mai im Zellentrakt inhaftiert. Sie war von dem 21jährigen Erwin Schwagmeier, dem Sohn des Möbelfabrikanten Hermann Schwagmeier, geschwängert worden. Beiden drohte aufgrund der Strafvorschriften die Einweisung in ein Konzentrationslager. Trotzdem blieben sie ohne Strafe. Klawdia Minajewa wurde vom Polizeisekretär Brockmeyer nach langen Vernehmungen als „charakterlich einwandfrei“ und „deutschfreundlich“ beurteilt, wurde zur Fa. Stiegelmeyer umvermittelt, was sie vor weiterer Verfolgung bewahrte. Am 30. Oktober 1943 brachte sie in der Baracke in der Annastr. 13 ihre Tochter Lore zur Welt. Das Kind wurde in der Liste für „uneheliche Kinder ausländischer Mütter“ in der Stadt Herford registriert und bis zum 7. April 1945 unter Amtsvormundschaft des Jugendamtes gestellt. Was aus ihm und seiner Mutter geworden ist, ist unbekannt.

Seit 1999 erinnert an der Kleinen Markthalle eine Tafel an die von dort ausgehenden Deportationen: Alle konnten es sehen, viele schauten weg: Von dieser Markthalle aus wurden in den Jahren 1941 bis 1945 jüdische Herforderinnen und Herforder zur Sammelstelle in Bielefeld abtransportiert, dem Ausgangspunkt zu Ghettos und Vernichtungslagern. Nach Aufforderung durch die Gestapo mussten sich hier am 9. Dezember 1941 erstmals 33 jüdische Herforderinnen und Herforder einfinden, um auf Lastwagen zur Sammelstelle „Kyffhäuser“ in Bielefeld gebracht zu werden. Zwei weitere Transporte am 28. März und 27./28. Juli 1942 löschten das Leben der jüdischen Gemeinde in Herford aus. Nach weiteren Einzelverschleppungen erfolgte ab September 1944 und im Februar 1945 auch die Einweisung der sogenannten „Halbjuden“ in Konzentrations- und Zwangsarbeitslager. Mindestens 118 Menschen wurden auf den Transporten und in den Lagern ermordet. Die alltägliche Verfolgung der Juden war für alle Herforderinnen und Herforder sichtbar. Nur wenige Akte der Solidarität und Mitmenschlichkeit sind bekannt. Im gegenüberliegenden Rathaus arbeiteten Stadtverwaltung und Polizei der Verfolgung und Vernichtung zu. Sie ermittelten und meldeten auftragsgemäß Juden, Zigeuner, Homosexuelle, Zeugen Jehovas, Geisteskranke und andere aus Sicht der NS-Ideologie rassisch, politisch und religiös Unliebsame. So halfen sie hundertfach bei Mord, Quälerei, Zwangssterilisation, Zwangsabtreibung, Zwangsarbeit und anderen Verbrechen.