100 Jahre Rathaus - Die Einweihung und frühe Nutzung

Erste Einzüge und Nutzung im Ersten Weltkrieg

Mitten im Ersten Weltkrieg, am 20. November 1916, wurde das neue Rathaus in Betrieb genommen.
Zuerst zogen die „kriegswichtigen“ Abteilungen Lebensmittelamt, Kriegsunterstützungsamt, Einquartierungsamt und Militäramt ein.
Es folgten Meldeamt, Polizeiinspektion und Polizeiwache sowie das Wertzuwachssteueramt.

Die Nöte des Krieges machten auch eine erste Veränderung der geplanten Nutzung nötig. Kurz nach dem Einzug wurden in den Kellerräumen für die in der nahen Markthalle eingerichtete Kriegsküche Lagerräume eingerichtet. In zwei der Zellen wurden die Kartoffeln geschält, unter der Terrasse war die Kartoffelwäsche, in die für Obdachlose gedachten Räume kam die Bekleidungsstelle für Kinder und gegenüber der Polizeiwache die Ausgabestelle für Lebensmittelmarken.

Am 5. Dezember 1916 bezog das Steueramt seine Räume, am 18. und 19. Dezember kamen Stadtbauamt, Tiefbauamt und Stadtmessamt dazu. Mit dem Einzug der Hauptabteilung am 2. Januar 1917 und der restlichen Abteilungen der Verwaltung sowie der Bürgermeister und Hauptverwaltungsbeamten wurde der Umzug aus den bisherigen Provisorien schließlich abgeschlossen. Die Platzgestaltung rund um Rathaus und Markthalle war noch im Gange.

 

Die Einweihung 1917

Im Mittagssonnenschein des 7. Februar 1917 übergab Prof. Kanold auf der Rathaustreppe trotz grimmiger Kälte Oberbürgermeister Busse den Schlüssel zum neuen Rathaus. Busse dankte mit den Worten: „Sie haben über dem Haupteingange eine Figur anbringen lassen, welche das Glück darstellen soll. Wenn ich jetzt die Hauptpforte des neuen Rathauses öffne, so tue ich es mit dem Wunsche, dass mit uns das Glück in dieses Haus einziehen und dass die Arbeit, welche in unserem neuen Rathause bis in die fernste Zukunft geleistet wird, der Stadt und ihren Bürgern zum dauernden Segen gereichen wird.“

Es folgte der Festakt im Stadtverordnetensaal des reich geschmückten Rathauses. Besondere Gäste waren Prinz von Ratibor und Corvey (Oberpräsident der Provinz Westfalen), Wirklicher Geheimer Oberregierungsrat Dr. von Borries (Regierungspräsident aus Minden), Landrat von Borries aus Herford, Oberst z. D. von Borries aus Detmold und Geheimer Regierungs- und Baurat Büchling aus Bielefeld. Dazu kamen die Spitzen aller Herforder Behörden.
Begrüßt wurden sie durch den Chor der vereinigten Männergesangvereine unter Leitung des Städtischen Musikdirektors Quest.
In seiner Festansprache nahm Bürgermeister Busse Bezug auf die historische Situation: „Wer hätte wohl, als am 15. April 1914 mit dem Neubau begonnen wurde, daran gedacht, dass die Festfeier der Rathauseinweihung in so bitter ernster und schicksalschwerer Zeit erfolgen würde.“ Er empfahl deshalb eine schlichte und ernste Feier und schilderte dann die Geschichte der Planung vom Vorschlag seines Vorgängers Quentin, übte aber keine Kritik, „denn damals konnte niemand voraussehen, wie sich Herford entwickeln würde.“ Nun wäre der Bau vollendet, und das ohne Unfall. Busse dankte allen, „bis zum letzten und einfachen Arbeiter“. Besonders dankte er Architekt Kanold, der sich „für alle Zeiten ein unvergängliches Denkmal gesetzt“ habe, und Bauführer Geist, der mit seiner „gemütlichen Münchener Art . . . über manche Unzuträglichkeit und Misshelligkeiten hinweggeholfen“ hätte. Das Rathaus solle „hoffentlich Jahrhunderte standhalten“, und „viele wichtige Beschlüsse werden hier gefasst werden.“ Dass vom Turm die Fahnen „Deutschlands, Österreich-Ungarns, Bulgariens und der Türkei“ wehten, zeige, dass der Bau ein „Wahrzeichen der im ganzen deutschen Volke vorhandenen Stärke, Kraft und Entschlossenheit“ sei.

Nach Busse folgten weitere Reden von Oberpräsident, Regierungspräsident und Landrat. Der zitierte den Spruch vom Bürgermeisterhaus an der Höckerstraße: „Gode to Laue, Stadt Hervorde to den Eren und to der Minschen Nuth – auf hochdeutsch: Gott zu Lobe, Stadt Herford zur Ehre und zu der Menschen Nutzen. Diesen Spruch gab der Bürgermeister auch dem neuen Hause mit auf den Weg. Der stellvertretende Stadtverordnetenvorsteher Fellinger nahm Bezug auf den Ratssaal: „Mein Blick fällt da auf die beiden in Holz kunstvoll geschnitzten Darstellungen, links die der Schnecke, rechts das Bild eines Fuchses, der sich seiner Beute freut.“ Sie würden Schlauheit und Verlässlichkeit symbolisieren. Als letzter Redner endete der Rektor der Herforder Geistlichkeit, Pastor Gottschalck, mit Gebet und Segen. Nach erneutem Chor begann ein Rundgang durch die neuen Räume.

 

Das Rathaus am Ende des Ersten Weltkriegs

Schon kurz nach seiner feierlichen Einweihung konnte das Rathaus nicht entsprechend der ursprünglichen Planung genutzt werden: „Die ausgedehnte Kriegswirtschaft brachte es mit sich, dass sämtliche Räume in Anspruch genommen wurden. Für die Ausgabe von Lebensmittelmarken mussten noch verschiedene Räume des Bürgervereins in Anspruch genommen werden“, heißt es im Bericht der Stadtverwaltung.

Dazu kam, dass mehr als die Hälfte der städtischen Beamten und Angestellten zum Militärdienst eingezogen war und viele von ihnen im Krieg starben. Die Verwaltung wurde nur mit Hilfskräften aufrechterhalten. Nach Kriegsende wurden vor allem die weiblichen Hilfskräfte entlassen und dafür stellungslose Angestellte eingestellt. Dieser Wechsel erschwerte den Dienstbetrieb außerordentlich. Beim Umzug in das neue Rathaus waren für die Stadt 159 Beamte und Angestellte tätig. Diese Zahl erhöhte sich bis zum Kriegsende und in der Zeit kurz danach auf über 300.

Die Stadtverwaltung musste im Krieg und in der direkten Nachkriegszeit einige besondere Dienststellen einrichten: Die Kriegswohlfahrtspflege zahlte Unterstützungen an die Soldaten- und Gefallenenfamilien. Das Lebensmittelamt regelte mit etwa 80 Beschäftigten die Beschaffung und Zuteilung von Brot, Getreide und anderen Nahrungsmitteln an die Bevölkerung. Eine Ortskohlenstelle regelte die Verteilung von Kohlen und anderen Brennstoffen. Eine Bekleidungsstelle gab gegen Bezugscheine gesammelte Kleidung an Bedürftige aus. Das Wohnungsamt sorgte im Krieg auch für die Vermittlung von Wohnungen für Flüchtlinge aus besetzten Gebieten und verschaffte nach dem Krieg Notleidenden bezahlbare Wohnungen. Ein Mieteinigungsamt schätzte ortsübliche Mieten und vermittelte bei Streitigkeiten. In der Markthalle wurde am 15. August 1916 eine Kriegsküche eingerichtet, die bis zum Kriegsende wöchentlich bis zu 15.000 Mahlzeiten ausgab. Auch Schulkinder wurden dort versorgt. Viele dieser zusätzlichen Ämter blieben bis Anfang/Mitte der 1920er Jahre in Betrieb. Dann wurden sie nach und nach aufgelöst.

Der neu geschaffene Rathausplatz wurde im und nach dem Krieg für Veranstaltungen und Aufmärsche genutzt. So wurde am 3. Juni 1917 eine U-Boot-Spende zelebriert: Das Abbild des U 9 (des U-Boots des Herforder Seehelden Otto Weddigen) wurde mit Nägeln nachgezeichnet, und jeder Nagel war eine Spende für den Krieg. Schon am 14. Mai 1919 gab es dort aber auch eine Kundgebung gegen „Gewaltfrieden“ von Versailles.

Wie in vielen anderen Städten formierte sich auch in Herford am 9. November 1918 ein Arbeiter- und Soldatenrat. Er leitete kurzzeitig die Stadtverwaltung, griff aber nicht wesentlich in den Dienstbetrieb ein. Oberbürgermeister Wilhelm Busse blieb im Amt, sein Stellvertreter, Bürgermeister Werner, trat am 31. März 1919 in den Ruhestand. Die Verwaltungsleitung, der Magistrat, trat am 28. April 1919 zurück, der neue Magistrat wurde am 5. Juli 1919 eingeführt, und am 1. Oktober trat der neue Bürgermeister Dietrich Osmer sein Amt an. Die Verwaltung kam wieder in ruhigeres Fahrwasser.